Der Unfallhergang setzt sich prinzipiell aus:

  • der Vorkollisionsphase (auch Einlaufphase genannt)
  • dem Kollisionsvorgang
  • der Nachkollisionsphase (auch Auslaufphase genannt) 
  • (und Folgephase)

 

zusammen.

Dabei sind regelmäßig die Geschehnisse in der Vorkollisionsphase nicht bekannt und es ist aus den vorhandenen Anknüpfungstatsachen (Beschädigungen der Fahrzeuge, Endlagen der Fahrzeuge, weitere Spuren etc.), die sich während der Kollisions- und Nachkollisionsphase ausgebildet haben, auf die Unfallentstehung zu schließen. Sofern Spuren der Vorkollisionsphase vorliegen, kann auch diese exakt rekonstruiert werden. Für dieses Vorgehen hat sich der Begriff der Rückwärtsrechnung etabliert. Bei der Rückwärtsrechnung wird aus dem Bekannten (nachkollisionäre Phase) auf das Unbekannte (vorkollisionäre Phase) geschlossen.

Im Rahmen der rechnergestützten Unfallsimulationsrechnung hat sich zunehmend die sog. Vorwärtsrechnung durchgesetzt, die auch diesseits vornehmlich angewendet wird. Bei der Vorwärtsrechnung werden zunächst (aufgrund der Erfahrungen eines Sachverständigen und erster, überschlägiger Analyse der technischen Anknüpfungstatsachen) Annahmen über den Unfallablauf (die Kollisions­geschwindigkeiten und die weiteren noch zu beschreibenden Parameter) getroffen.

Es wird eine Kollisionsanalyse durchgeführt und hierüber der nach­kollisionäre Bewegungsablauf ermittelt. Das Ergebnis der Kollisions­analyse und Simulationsrechnung ist sodann mit den tatsächlich vorliegenden Anknüpfungstatsachen zu überprüfen. Die eingangs getroffenen Annahmen sind ggf. zu ändern bis sich der nachkollisionäre Bewegungsablauf der Fahrzeuge mit den tatsächlichen Verhältnissen in Einklang bringen lässt und andererseits die Ergebnisse der Kollisionsanalyse sowie auch der Auslaufanalyse (des nachkollisionären Bewegungsablaufs) mit den Kontrollmöglichkeiten in Übereinstimmung stehen und sich die getroffenen Annahmen insofern verifizieren lassen. Dabei sind die möglichen und zulässigen Toleranzen zu betrachten.

In dem nachfolgend gezeigten Beispiel biegt ein Fahrzeug vor einem entgegenkommenden nach links ab. Es kommt zum Zusammenstoß.

Situation
Analyse des nachkollisionären Bewegungsvorganges (Auslaufanalyse)
Für die Überprüfung der Rechenergebnisse bei der Vorwärtsrechnung ist die Kenntnis des nachkollsionären Bewegungsverhaltens und natürlich die Kenntnis der Endlagen der Fahrzeuge erforderlich. Es kann eine Auslaufanalyse durchgeführt werden.
Nachkollisionärer Bewegungsvorgang
Anstoßkonstellation

Zur Durchführung der Kollisionsanalyse ist zunächst die Anstoßkonstellation (vereinzelt auch Anstoßkonfiguration genannt) anhand der tatsächlichen Beschädigungsbilder der Fahrzeuge zu ermitteln. Die relative Kollisionsposition der Fahrzeuge zueinander wurde anhand der beschriebenen und vermessenen Fahrzeugbeschädigungen ermittelt. Die Kollisionsstellung und der mögliche Kollisionsort sind nach¬folgend dargestellt. Geringfügige Abweichungen hinsichtlich der relativen Positionsstellung der Fahrzeuge zueinander sind hinsichtlich der Stellung der Fahrzeuglängsachsen und hinsichtlich der Fahrzeug¬überdeckung zulässig. In diesem Zusammenhang sei bereits ausgeführt, dass diese Anstoßkonstellation zum Zeitpunkt des maximalen Kraft¬austausches zu wählen ist. Aufgrund von Elastizitäten der kraft¬beaufschlagten Bauteile ist regelmäßig zum Zeitpunkt des maximalen Kraftaustausches die Deformation (geringfügig) größer als in dem dokumentierten (nachkollisionären) Zustand.

Anstoßkonstellation
Anstoßkonstellation, dreidimensional
Anstoßkonstellation, dreidimensional
Kollisionsanalyse

Die Kollisionsanalyse umfasst die physikalischen Erhaltungssätze von Impuls, Energie und Drall. Bei der Kollisionsanalyse wird insbesondere das letzte der drei Newton´schen Axiome zugrunde gelegt und es werden Vereinfachungen gegenüber dem realen Unfallgeschehen vorgenommen: Während im realen Unfallgeschehen die Fahrzeuge zunächst ineinander eindringen, sich dadurch verformen und sich schließlich wieder trennen und die Deformationen geringfügig zurückfedern, wird bei der Kollisionsanalyse auf einen unendlich kurzen, diskreten Zeitpunkt abgestellt, bei dem die Fahrzeuge maximal ineinander eingedrungen sind und sich der maximale Kraftaustausch zwischen den Körpern ergibt.

Vereinfachungen der Stoßrechnung im Vergleich zu einem realen Unfall

Die Zulässigkeit dieser Vereinfachungen wurde unter anderem durch das Nachrechnen von Crashversuchen verifiziert.

Der Kollisionsanalyse liegen ferner im Wesentlichen der Impuls­erhaltungssatz, der Drehimpulserhaltungssatz sowie der Energiesatz zugrunde. Dies sei anhand des Energiesatzes kurz näher erläutert:

Die Summe (Formelzeichen Σ) der Energien vor dem Kollisionsg­eschehen entspricht der Summe der Energien nach dem Kollisions­geschehen. Die Energien vor dem Kollisionsgeschehen ergeben sich aus den kinematischen Energien der beiden jeweils zu betrachtenden Fahrzeuge (Bewegungsenergie). Die Energien nach der erfolgten Kollision bestehen aus dem nachkollisionären Bewegungs­verhalten der abgeschleuderten Fahrzeuge (Bewegungsenergie nach dem Stoß) sowie den Deformationsenergien.

Die Deformationsenergien sind durch den Vergleich der tatsächlich vorliegenden Schadenbilder an den in Rede stehenden Fahrzeugen mit entsprechenden Crashversuchen zu bestimmen. Die Deformationsenergien werden durch die sog. EES-Werte angegeben: Das Deformationsausmaß, d. h. die in Deformation gewandelte Energie, die durch das Kollisionsgeschehen verursacht wurde, wird als sog. EES (Energy-Equivalent-Speed – Energie-Äquivalente-Geschwindigkeit) angegeben.

Dieser Wert wird in der physikalischen Einheit der Geschwindigkeit (km/h) angegeben und ist dadurch besser vorstellbar als in den üblichen Energieeinheiten von z. B. Kalorien, Kilowattstunden, Joule bzw. Newtonmeter. Die EES beschreibt diejenige Geschwindigkeit, bei der das gleiche Deformationsausmaß entsteht, wenn das Fahrzeug mit dieser Geschwindigkeit mit einer undeformierbaren starren Barriere kollidiert und keinen signifikanten Auslauf aufweist.

Skizze zur Definition EES-Wert

Diese Maueraufprallgeschwindigkeit, der EES-Wert ist nicht mit der Kollisionsgeschwindigkeit zu verwechseln: Wenn zwei Fahrzeuge miteinander kollidieren, so wird durch den erfolgten Kraftaustausch nicht nur ein Fahrzeug verformt, sondern beide. Wenn zwei baugleiche Fahrzeuge miteinander kollidieren, müssten bei dieser Modellvorstellung idealerweise entweder beide Fahrzeuge das gleiche Kollisions¬geschwindigkeitsniveau aufweisen, wie das eine Fahrzeug bei dem Maueranprallprallversuch, oder eins der Fahrzeuge müsste doppelt so schnell sein, wie bei dem Maueranprall, um bei dem Anstoß gegen das stehende Fahrzeug die gleichen Beschädigungen zu verursachen wie bei dem Maueranprall.

Skizze zur Definition EES-Wert

Die durch die Kollisionsanalyse ermittelten Kontrollwerte sollen sich den tatsächlichen Anknüpfungstatsachen zwanglos zurechnen lassen – es bedarf einer Beurteilung der Beschädigungsschwere.

Kollisionsanalyse
Berechnungsmaske zur Kollisionsanalyse

In der vorgezeigten Darstellung der Kollisionsanalyse wurden die Fahrzeuge mit den 3-D-Ansichten gezeigt. Dies verhindert eine Überprüfungsmöglichkeit bezüglich der vektoriellen Betrachtung. Nachfolgen werden hierfür die Fahrzeuge schematisch mit ihren tatsächlichen Abmessungen genutzt. Die Fahrzeuge werden als Rechtecke mit den Abmessungen der Länge und der Breite dargestellt. Der Kreis in dem Fahrzeug repräsentiert die Lage des Schwerpunktes. Die dort angetragene Linie zeigt die Bewegungsrichtung und das Dreieck zeigt zur Front des jeweiligen Fahrzeuges. Die grauen, kleineren Rechtecke stehen für die Lage und die Größe der Räder. Es werden das Impulsdreieck mit den vor- und den nachkollisionären Impulsen sowie dem sog. Stoßimpuls dargestellt. Der Stoßimpuls könnte auch als Kraftwirkungslinie bezeichnet werden. In dieser Richtung wirkt die Kraft auf das Fahrzeug und die Insassen ein. Der Stoßimpuls wird als blauer (einseitiger) Pfeil gezeichnet; dies ist eine Darstellung des gewählten Rekonstruktionsprogrammes. Die Kraft wirkt in gleicher Intensität auf beide Kollisionskontrahenten jedoch in entgegen gesetzter Richtung; eine beidseitige Pfeilantragung wäre physikalisch richtig. Ferner sind die Lage der Berührtangente als grau-gestrichelte Linie und der Reibungskegel mit violett umrandeten Dreiecke gezeichnet. In der (wertungsfrei) gewählten Farbe der Fahrzeuge sind auch die sog. Stoßpunktsgeschwindigkeiten gezeigt, die das Bewegungsverhalten der Fahrzeuge aus dem Kraftaustausch heraus repräsentieren.

Kollisionsanalyse, vektoriell
Vorkollisionärer Bewegungsvorgang (Einlaufphase)

Zur Ermittlung des interessierenden vorkollsionären Bewegungsverhalten der Fahrzeuge können Spuren (Brems-/Blockierspuren, Schleuderspuren etc.) ausgewertet werden. 

Es können Fahrzeugdaten (EG-Kontrollgerät, EDR) ausgewertet werden.

Es können Analyse zu dem Reaktionsverhalten der Beteiligten vorgenommen werden und hierüber der vorkollisionäre Bewegungsvorgang bestimmt werden. 

Es können Prüfungen zu den Vorträgen der Beteiligten vorgenommen werden.